Wieviel Frau ist eine "Behinderte"?

Wenn du dich einmal mit wem küssen oder anfassen willst, würden normale Menschen nie davon ausgehen, daß diese Person dich immer küssen oder dich immer anfassen darf.
Warum gehen sie davon aus, daß, wenn du dich einmal von wem im Rollstuhl die Treppen hochtragen bzw. hochziehen läßt, du dich immer von dieser Person die Treppen hochtragen lassen mußt?
Warum erwarten sie, wenn sie dich einmal dich von einer bestimmten Person die Treppen hochtragen lassen gesehen haben, das fraglos auch jede andere Person mit dir machen darf?
oder warum ist es für sie ein schlagendes Argument, daß sich ein anderer Mensch im Rollstuhl Treppen hochtragen läßt, dafür, daß auch du dich jederzeit von jeder Person -zumindest von jeder Frau- jede Treppe hochtragen lassen mußt?
Es gibt keine Person, die ich manchmal gern küsse, die mich jederzeit küssen darf. Daß mich für andere sichtbar eine Vertraute irgendwelche Treppen hochträgt, vermeide ich jedoch mit peinlicher Vorsicht, damit sich nicht sie oder jede andere dies als selbstverständliches Recht herausnimmt.
Vielleicht findet manche Leserin den Vergleich schlimm. Vielleicht findet sie empört, es wäre doch etwas völlig anderes, sich zu küssen oder im Rollstuhl Treppen hochgetragen oder hochgezogen zu werden. Ich glaube, der Unterschied, den sie macht, könnte daran liegen, daß sie unsere Körper fälschlicherweise nicht für Körper sondern für Gegenstände hält. Warum sollte es einen Unterschied machen, ob mit dem Körper einer "Nichtbehinderten" etwas gemacht wird, was sie nicht wünscht oder mit unserem?



Tipps
für mehr Gleichberechtigung
in den äußeren Bedingungen*

Informationsblätter, Veranstaltungsprogramme, Broschüren und Bücher sollten in für Blinde und "Sehbehinderte" nutzbarer Medienform zugänglich sein. Manche blinden oder "sehbehinderten" Frauen haben Computer und können die Texte einfach auf Diskette nehmen. Texte können ohne großen Aufwand in Großdruck ausgedruckt oder groß kopiert werden. Damit sie für blinde Frauen und für welche, die nicht lesen können, nutzbar sind, können sie auf Kassette aufgelesen werden. Wenn die Texte zu lang sind, z.B. Bücher oder Broschüren, könnten dies Blindenbüchereien oder Auflesedienste übernehmen.

Nicht allen kann man ihre "Behinderung" ansehen. Bitte lassen Sie nicht außer Acht, daß eine Frau "behindert" sein könnte, auch wenn Sie es nicht sehen. In einem entsprechenden Klima kann sie sagen, daß sie "behindert" ist und möglicherweise etwas anders braucht, als es ist. Gehen Sie achtungsvoll mit ihr und den Bedingungen, die sie für eine Teilhabe braucht, um.

Stufen sind für Rollstuhlfahrerinnen und manche "gehbehinderten" Frauen ein großes Hindernis. Von einer Frau zu verlangen, sich wo hineintragen zu lassen, sei es mit Rollstuhl oder auf den Armen, ist nicht zumutbar! Jede Frau muß selbst und frei entscheiden können, ob, wann, von wem und wie sie angefaßt werden will. Deshalb sind Räume, die stufenlos erreichbar sind, wichtig.
Wenn ein Projekt Räume hat, die nur über Stufen erreichbar sind und die tatsächlich nicht entsprechend umgebaut werden können, gibt es immer noch die Möglichkeit, Veranstaltungen, Treffen, Beratungen,... bei Bedarf in andere, rollstuhlgerechte Räume zu verlegen. Diese Möglichkeit kann direkt auf den Faltblättern des Projektes vermerkt werden. Dabei ist wichtig, daß die Frau mit "Behinderung" nicht das Gefühl hat, daß sie diskutieren oder gar betteln muß, damit solch ein Raumwechsel stattfindet. Es muß mit Selbstverständlichkeit geschehen. Und ohne, daß sie "doofen Blicken" von TeilnehmerInnen oder VeranstalterInnen ausgesetzt ist. Sie soll nicht das Gefühl haben, daß Dankbarkeit von ihr erwartet wird, weil "extra wegen ihr" der Raum gewechselt wird. Daß die eigentlichen Räume nicht erreichbar sind und sie den Raumwechsel initiieren und anderen "Arbeit machen" muß, ist ihr wahrscheinlich unangenehm genug. Da sollte nicht noch Dankbarkeit erwartet werden.
Den Raum in Einzelsituationen zu wechseln, kann eine Notlösung sein. Für eine gleichberechtigte Teilhabe sind jedoch Räume wichtig, die alle unter gleichen Bedingungen betreten oder befahren können.

Gehörlose Frauen brauchen für Veranstaltungen oder für Beratungsgespräche Gebärdensprachdolmetscherinnen. Auf Veranstaltungsankündigungen ist ein Zeichen für "Gebärden" (zwei gebärdende Hände) als "Hingucker" sinnvoll. Daneben die Information, daß GebärdensprachdolmetscherInnen anwesend sein werden bzw. bei Voranmeldung dazugeholt werden. Ansonsten gehen Gehörlose nämlich davon aus, daß sie -wie gewohnt- auch bei dieser Veranstaltung keine Chance auf Verständigung durch eine DolmetscherIn haben. Dann kommen sie nicht. Die Kosten für die Dolmetscherinnen kann natürlich nicht die gehörlose Frau als Einzelperson zahlen. Sie müssen genauso gemeinschaftlich getragen bzw. bei Kostenträgern beantragt werden wie z.B. das Honorar und die Fahrtkosten der ReferentIn.

Wenn eine Frau mit "Behinderung" etwas anbringt, was sie zur Teilhabe braucht, was nicht in dieser Liste steht: Gehen Sie achtungsvoll mit ihr um! Sie ist Fachfrau und weiß besser, was nötig ist und was nicht, als irgendwelche Listen! Frauen mit "Behinderung" sind nicht genormt! Wenn zwei Frauen hinken, kann es sein, daß die eine z.B. Treppen steigen kann, die andere aber nicht! Was eine Frau kann, wenn es ihr gut geht, kann etwas anderes sein als das, was sie kann, wenn es ihr nicht gut geht.


Nehmen Sie Ausgrenzung nicht hin!
Nichts muß so bleiben, wie es ist!



* Die folgenden Bedingungen sind ebenfalls für Männer mit "Behinderung" wichtig, auch wenn weibliche Bezeichnungen verwendet wurden. Soweit es inhaltlich paßt, können Männer daher als mitgemeint betrachtet werden.

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